LQFB: I want my feet back

sockenpuppen

Ich habe LiquidFeedback jetzt durchgespielt und ich finde es für ein Piratentool weder besonders schwierig noch besonders hässlich noch besonders vertrollt.

Trotzdem funktioniert es nicht wie es soll. Warum eigentlich nicht?

Beteiligung:
– Das erste, was du merkst, wenn du anfängst LiquidFeedback zu spielen, ist: Gegen die Typen mit den Superkräften hast du keine Chance. Das Zweite, was du merkst: Das ändert sich auch nie. Das ist frustrierend und führt dazu, dass viele sehr schnell einfach nicht mehr mitspielen. Sie werden dann zu LiquidZombies, die höchstens einmal im Jahr vor Parteitagen aus den Karteileichen-Massengräbern kriechen.

Möglicherweise würde die Beteiligungsquote steigen, wenn es um verbindliche Entscheidungen ginge statt um Meinungsbilder, die nicht viel mehr wert sind als: „Schön, dass wir mal drüber geredet haben.“ Dafür müsste aber gewährleistet sein, dass Entscheidungen im LQFB auch tatsächlich die Meinungsverteilung in der Partei widerspiegeln können.

Delegationen:
– Delegationen finde ich gut und richtig. Wenn 100 Menschen mich für so kompetent halten würden, dass sie mir ihre Stimme anvertrauen, wunderbar. Aber wenn die 100 Delegationen von einer Einzelperson kommen, die sie wiederum alle von einer anderen Einzelperson hat, dann finde ich das nicht sonderlich demokratisch.

– Und wenn ich meine Stimme z.B. an den Tarzun delegiere, weil ich ihm vertraue und weil ich ihm zutraue, dass er im Bereich Satzungsänderungskleinscheiß die richtigen Entscheidungen trifft, möchte ich nicht, dass Tarzun meine Stimme an FaulerSack delegiert, der sie wiederum aus Bequemlichkeit an Vollpfosten weitergibt. Ich würde im Normalfall nichtmal merken, wo meine Stimme gelandet ist – ich delegiere ja genau aus dem Grund: Weil ich mich um den Themenbereich Satzungsänderungskleinscheiß nie mehr kümmern müssen möchte.

– Die Themengebiete, die man delegieren kann, sind teilweise viel zu weit gefasst. Ich kenne niemanden, der sich mit Umwelt- Verkehrs- und Energiepolitik gleichermaßen gut auskennt. Schon beim Thema Urheberrecht kennt sich mein Experte für Musikurheberrecht sehr wahrscheinlich nicht genügend gut mit Literaturheberrecht aus. Und auf wen zum Klabautermann soll ich bei „Sonstige politische Themen“ setzen?

Der menschliche Faktor:
– Ich habe mir angewöhnt, neue Inis erstmal unangemeldet zu lesen, damit ich nicht in Versuchung komme, sie danach zu beurteilen, ob mir der Antragsteller sympathisch ist oder nicht.
Dass ich das notwendig finde, zeigt mir, dass ich nicht in der Lage bin, soziale Faktoren auszublenden und objektiv inhaltlich abzustimmen: Wenn ich diese Ini von EinflussreicherPirat ablehne, kriege ich seine Unterstützung für meinen nächsten Antrag nicht. Wenn ich eine Ini von jemandem ablehne, der Stimmen auf mich delegiert hat, muss ich mit Liebesentzug und Machtverlust rechnen. Und wenn ich genug Stimmmacht hätte, um einen Antrag, der mit meinem konkurriert, ins Aus zu schießen, warum sollte ich das nicht nutzen?
Und ich fürchte, ich bin nicht die einzige, der das so geht.

Sicherheit:
– Es wurde viel über Wahlcomputer und Sicherheit debattiert in letzter Zeit. Dabei konzentrieren sich Piraten gern ausschließlich auf die technische Seite.
Wenn ich eine Abstimmung beeinflussen wollte, bräuchte ich mir gar nicht die Mühe zu machen, irgendwas zu hacken. Ich müsste bloß den Superdelegierten mit Geld oder Gefälligkeiten bestechen, der 200 Stimmen hat und die Abstimmung im Alleingang kippen kann. Lustigerweise scheint das in den AGBs nicht mal verboten zu sein.
(Wenn es verboten ist, dann ist das System natürlich sicher. Gnihihi.)

metaphora42

Update: Echt lesenswerte Links zu dieser Diskussion:
Klaus Peukert: SMV – Argumentativer Nachtisch
herrllama: Update: Die Piratenpartei, die #smv und ich
Katja Dathe: Von Delegationen und Vertrauen
Lukas Daniel Klausner (via Fabio Reinhardt via Rüdiger Pfeilsticker): Österreich: 6 Monate Erfahrungen mit der SMV

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7 Responses to LQFB: I want my feet back

  1. Pingback: [Update] Die Piratenpartei, die #smv und ich | Daily Llama

  2. Rudi says:

    Ja, die Erfahrungen der Piraten in Österreich sprechen deutlich dafür, daß aus Verbindlichkeit eine höhere Beteiligung folgt: http://blog.fabioreinhardt.de/piraten/osterreich-6-monate-erfahrungen-mit-der-smv/

    Was die Chancen gegen die “Superdelegierten” angeht, so ist der Anteil der delegierten Stimmen etwas geringer als der der direkt abgegebenen Stimmen: http://lqfbanalyser.sourceforge.net/reports/lqfb_2013_03_03/rep-voting.html Ohne Teilnehmer mit großem Stimmgewicht ist es also deutlich schwieriger die Mehrheit zu finden, aber auch nicht unmöglich.

    Auf den ersten Blick kann man da frustriert sein, daß stimmt.

    Wenn Du Dir selbst zubilligst an Tarzun den Satzungskleinscheiß zu delegieren, weil du ihm vertraust, wieso billigst Du das Ihm dann nicht auch zu. Vor allem, wenn Du den “besonderen Satzungskleinkram” immer noch selbst abstimmen kannst, wann immer er Dir selbst wichtig ist ? Bzw: Wenn Dir die Satzung nicht wichtig genug ist, um selbst abzustimmen, wieso ist es Dir wichtig was mit Deiner delegierten Stimme passiert ?
    http://olafnensel.wordpress.com/2012/09/09/delegation-in-liquid-democracy/ (In besser, und ohne die überflüssigen rethorischen Fragen.)

    Was den menschlichen faktor angeht, gebe ich Dir recht. Der ist vorhanden. Er wird aber auch durch die Software sichtbar gemacht und ist weniger versteckt als in anderen Abstimmungssituationen.

    Zum Schluß noch: LQFB funktioniert insofern, daß die Anträge auf den Parteitagen eine bessere Chance haben angenommen zu werden, als ohne LQFB:
    http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:R%C3%BCdiger/LQFB#Auf_den_PTs (Mist, doch selbst zitiert 😉

  3. metaphora says:

    @Rudi: Danke für die Links!
    Ich glaube, was mich besonders stört und was mich skeptisch macht gegenüber Delegationsketten ist, dass ich gezwungen werde, Menschen zu vertrauen, die ich nicht kenne und die große Macht akkumulieren können (wenn wir SMV mit LQFB als Abstimmungstool machen, um Bundestagsabgeordnete zu steuern, wie tarzun schreibt). Aber im Gegensatz zu Vorständen, Abgeordneten, Beamten und anderen Leuten, die durch Gesetze reglementiert sind, müssen Superdelegierte gar keinen Regeln folgen und haben folglich bei Verstößen gegen moralische Regeln (Bestechung, Vorteilsannahme, sanfte Erpressung, Filz, Klüngelei) auch keinerlei Konsequenzen zu tragen. Und solche Dinge passieren, wo es um Macht geht. Das ist menschlich.

  4. metaphora says:

    Ich muss die Antwort auf Katjas Antwort: http://dathe.wordpress.com/2013/03/12/von-delegationen-und-vertrauen/
    hier posten, da drüben kann man ja nix kommentieren.

    Also:

    – Die Technik ist prima, nur der Mensch ist kaputt: Ja, theoretisch kriegt jemand der Mist baut, das Vertrauen entzogen. Das war der Plan. Praktisch wechseln die meisten Leute ihren Delegierten seltener als ihren Stromanbieter. Weil keiner seinem Delegierten hinterherrennt, um ihn zu kontrollieren. Katja, du hattest doch mal ein kleines Experiment gemacht (Die Piratenpartei ist … radikal?). Wie viele Leute haben dich gefragt, ob du einen an der Klatsche hast und dir das Vertrauen entzogen? ☺

    – Vertrauen ist ein Gefühl, und Gefühle sind nicht übertragbar. Wenn du Herbert liebst, dann liebst du nicht automatisch auch die Exfreundin von Herbert.
    Zweitens geht es nicht bloß um vertrauen, es geht um ZUtrauen. Also Kompetenz. Ich delegiere an tarzun, weil ich ihn für kompetent halte. Ich traue meinem Bäcker zu, kompetent Brötchen zu backen. Aber deswegen traue ich nicht automatisch dem Klempner, mit dem mein Bäcker dicke befreundet ist, zu, kompetent Brötchen zu backen.

    – Katja schrieb: „Wenn ich dich richtig verstehe willst du, dass deine Delegation sofort unterbrochen wird, wenn dein Delegierter Tarzun eine Entscheidung trifft, die außerhalb der von dir für richtig gehaltenen Menge A liegt.“

    Nein. Du wirfst Inhalte und Köpfe durcheinander. Wenn jemand inhaltlich anders abstimmt als ich das vielleicht möchte, hab ich halt Pech gehabt. War ja meine Entscheidung, an genau diese Person zu delegieren. Wenn irgendein wildfremder Mensch mit meiner Stimme Mist abstimmt, ist das für mich was anderes.

    – Vertrauen ist nicht bedingungslos. Ich vertraue nichtmal mir bedingungslos (siehe „der menschliche Faktor“).
    Ich weiß z.B., dass wir beide zu bestimmten Dingen verschiedene Meinungen haben. Und ich weiß, dass ich dich nicht überzeugen werde und du mich nicht. Das ist nicht weiter schlimm. Ich hab dich trotzdem lieb. Ich delegiere einfach in bestimmten Themen nicht an dich. ☺

  5. tarzun says:

    Vielleicht wird es etwas einfacher, wenn man sich erstmal vom Begriff der Delegation mal löst, darunter scheint nämlich sich jeder irgendwie was eigenes vorzustellen, was zu dem Konflikt zwischen Katja und Dir führt, weil ihr offenbar schlicht unterschiedliche und inkompatible Definitionen des Begriffes Delegation habt. Schauen wir mal, was in LiquidFeedback (als Tool für LD) und in der Hosenwelt (bspw. auf BPTs) denn so passiert.

    Das was in LiquidFeedback als Delegation bezeichnet wird, ist im Grunde die technische Möglichkeit, die “eigene Stimmabgabe an die das eigene Abstimmungsverhalten für einzelne, mehrere oder alle Abstimmungen auf eigenen Wunsch automatisiert an das Abstimmungsverhalten eines anderen Mitglieds zu koppeln.” Wenn ich also von “Delegation” rede, dann meine ich diese Kopplung. In dem ganzen Prozess passieren nämlich eigentlich zwei Schritte, ein bewußter und ein automatischer Teil, die beide blöderweise immer vermischt werden.

    Der bewußte Teil ist erstmal “Das kann und will ich nicht selbst machen, das soll mal die Dingsda machen” oder “Ui, mein Thema, da bin ich dabei”. Diese Entscheidung passiert jetzt quasi bei jedem Teilnehmer, der sich selbst bewußt dafür entscheidet ob er direkt oder indirekt agieren will und wer in letzterem Fall sein Vertreter sein soll. Aus diesen einzelnen Entscheidungen ergibt sich dann ein “Delegationsgraph”. Bei der eigentlichen Auszählung läuft das dann alles rückwärts, ausgehend von denen, die direkt abstimmen wird dann rückwärts durchgezählt, wer einen “Ich will bitte genauso stimmen”-Wunsch hinterlegt hat. Das ist dann der automatische Teil.

    Interessanterweise ist das wiederum nun etwas, was so exakt auf jeder Piratenversammlung passiert. Beispiel: Neumünster, Satzungsfrage. Mir gegenüber der ehemalige GenSek mit Ahnung vom Thema, neben mir ein bayerischer Parteipromi der zu mir schaut. Der GenSek sagt ja, deswegen sag ich ja, der Promi sagt wegen mir auch ja und plötzlich schießen die Ja-Karten um uns nach oben, weil alle schauen was der Promi so denkt. Passiert immer und überall. Auch hier: Erst und *vorher* die bewußte Entscheidung “Ich heb die Karte, die der da vorn auch hebt” (wieder jeder für sich, *ohne* wirklich zu wissen, was passiert) und dann die “automatische” Umsetzung des Karten hebens (“Ja?” – “Ja!” oder “Nein?” – “Nein!”). Im Liquid ist das halt nur technisch umgesetzt.

    Ich glaube, ein großer Fehler ist, dass man gern nur isoliert das Pärchen “Stimmgeber und -Empfänger” betrachtet, dabei aber übersieht, dass wir mehr als zwei Personen in dem Netzwerk sind. Jeder Teilnehmer des Netzwerkes trifft für sich allein die bewußte Entscheidung, ob er direkt oder indirekt agieren will. Aus der Summe all dieser individuellen und bewußten Entscheidungen ergibt sich dann das “Delegationsnetz” von “Ich wills selbst machen” und “Ich will so abstimmen wie der/die da”-Wünschen. Und da fällt blöderweise auch die böse “Transitivität” von Delegationen hinten raus, denn sie ergibt sich automatisch aus dieser Summe aller Einzelentscheidungen.

    Unabhängig davon noch nen anderer und gern vergessener Punkt, warum Delegationen auch und insbesondere außerhalb der Abstimmung sinnvoll sind: Die Abstimmphase ist die (zweit)kürzeste Phase im Liquid (ja, ich vermisch wieder Tool und Idee, hier egal). Die wichtigere und längere ist “Diskussionsphase” zur Antragsverbesserung. Man kann wunderbar in dieser Phase (auch indirekt) an den “Fachpolitiker” delegieren (und halt zwischendrin immer mal nachsehen bei wem Stimme grad so landet und wer für mich Anregungen/Alternativ-Inis bewertet) und so sich den blöden Geshizzle mit Anregungen bewerten sparen und dann am Ende einfach selbst abstimmen. Das ist ne Freiheit und Unterstützung, die ich angesichts der Alternativen “Es halt sein lassen” oder “Mit Halbwissen selbst agieren” persönlich ziemlich knorke finde.

  6. metaphora says:

    >> “und plötzlich schießen die Ja-Karten um uns nach oben, weil alle schauen was der Promi so denkt. Passiert immer und überall.”

    Ja, passiert. Is aber nicht gut.
    Verhindern oder minimieren ließe sich das wohl nur mit einem Tool, das geheime Abstimmungen ermöglicht. We call it Papier. Zumindest auf Parteitagen.
    Deswegen wäre ich bei einer SMV (und wegen der führen wir ja diese Diskussion) für 2 getrennte Tools:
    1. Antragserarbeitungs- und Diskussionstool: Das wären wie bisher Pads, Mumble, Stammtische, AGs, Cons, LQFB etc. Es ist in dieser Phase der Arbeit sinnvoll zu wissen, mit wem man da gerade redet (wiedererkennbare Pseudonyme).
    2. Abstimmungstool, das anonyme Abstimmungen ermöglicht. Mehrere Menschen, die sich damit auskennen, weil sie das beruflich machen, haben mir gesagt, dass das mithilfe von Tokens und
    Zertifikaten technisch möglich wäre. Das würde aber wahrscheinlich die Möglichkeit von Delegationen (die ich, wie gesagt, eigentlich sinnvoll finde) ausschließen.

    Und ja, mir ist im Prinzip auch klar, dass ich nicht meinem Delegierten das Delegieren verbieten kann. Eine bessere Nachvollziehbarkeit, wo die Stimme landet, ohne dass ich ihr ständig hinterherklicken muss (Kennst du noch das Spiel “Der Plumpsack geht um”?), wäre schon ein Fortschritt. 🙂
    Das erhöht allerdings auch wieder den sozialen Druck auf den Delegationsempfänger. Komplizierte Kiste.

  7. metaphora says:

    Ach, nochwas: Tarzun, du schrubst, dass du die SMV willst, um die Macht künftiger Bundestagsabgeordneter zu counterbalancieren.
    Wenn die meisten Leute nicht nach Kompetenz delegieren sondern nach Prominenz – rate mal, wer dann die ganzen Delegationen kriegt. 😉

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